Kleines Boot

Siegergedicht 2011 "Lyrischer Lorbeer in Gold", Lorbeer-Literaturverlag, Bielefeld

 

Wie ein junger,

störrischer Esel

strampelt das kleine Boot

im Hafen

zerrt ohne Unterlass

am geflochtenen Tau.

 

Draussen, in Sichtweite,

wartet das Ewige

in den Wellen,

über den Wellen,

im Tor des Horizonts

das wie ein Altar

Sehnsüchte sammelt.

 

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Aufwärtsträne (aus "Wandelgefühle")

 

Wenn ich mein Gesicht

im Spiegelglattwasser sehe

und eine Träne

tropft mir

aus dem Auge, dann

 

fliegt mir

aus den Ewigtiefen des Wassers

ein Tropfen entgegen.


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Lebensbuch

 

Noch vor meiner Ankunft

war das Buch meines Lebens

geschrieben.

 

Mir bleibt, das zu erfüllen,

was unverrückbar ist.

 

Und der Tod hat

die einzelnen Tagesseiten bereits

zum Abreissen

vorperforiert.


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Herbst

 

Der Jahreszeitkörper

erbricht seine Farben.

 

Der Tod ist nur

die Versöhnung

mit dem Irrtum der Zeit.


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Tagtropfen

 

In stillem Rhythmus

tropfen die Tage

aus dem imaginären Trichter

der Zeit

und verdunsten

in die Fülle des Nichts.


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Seelenreifen

 

Und immer

reift meine Seele

im Meer tiefster Tränen


Salzwasser im Salzwasser

wiedererkannt


getrocknet und kristallisiert

findet sich

Getrenntes wieder

im Licht

und funkelt, gereinigt,

zur Sonne zurück.


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Zeit-Schritte

 

Sekunden

die Schritte der Zeit

noch nicht gegangen


bereits

ohne Spuren.


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Aufbruch

 

Erdlosgelöst

nur leise

mit den Flügelspitzen

die Pforte der Sehnsucht

berührt


Plötzlich

so unendlich schwebend

der Wahr-Sein entgegen,

Falterstaub

in den Ewigen Winden verstreut,

lichtwärts

auf und davon.


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Herznahrung (aus "Gluttropfen")

 

Wie gross

muss dieses Herz sein

jenes, das

alle Kleinherzen nährt.


Sein Atem

der Meere

Ebbe und Flut.


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Letztreisefieber (aus "Gluttropfen")

 

Wie es tanzt, das Schiffchen

          - einzig mit meiner Seele an Bord! -

auf dem Meer der Ruhe,

über die lautlosen Schallwellen

hinweg


heimwärts

im Stahlblau versinkend,

mit fröhlich geblähten Segeln

aus lichtdünnem

Einwegpapier ...


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Eselchen (aus "Gluttropfen")

 

Das kleine Eselchen, das

den Brunnen umkreist, Schritt

für Schritt und Tag

für Tag, durch den sandigen Staub,

den staubigen Sand -

 

manchmal

höre ich sein Weinen und Klagen

aus dem leisen Klappern der Hufe ...

 

Weiss es, dass es

die Sternenbahn geht, jetzt

auf der Erde, so nahe

beim Brunnen

so einsam

um ihn herum?


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Letzte Frage (aus "Wandelgefühle")

 

Wie wird es sein, wie friedlich

wenn ich alles zurückschenken kann -

  - den Körper der Erde

          dem Wasser das Blut

               dem Feuer den Atem und

                    die Gedanken dem Wind -


und aufbreche, im Herz -

         nicht für lange! -

eine vage Erinnerung bleibt

an einen flüchtigen Traum,

der sich davonmacht,

sich selbst zu erfüllen -


wie wird es sein?


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Meditation

 

In sich ruhend, wach

die Innenzunge.

 

Der Stille

keine Stimme geben,

das Schweigen

nicht vertonen.

 

Wenn der Tag Nacht ist,

scheint der Mond

als Sonne.


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Blattblau

 

Frost zieht auf in dieser Nacht.


Ausläufer

der unterkühlten Stunden

modellieren erste Folien

von hauchgedünntem Blattblau

auf die Gräser.


In der Wäldern

stirbt der Tag

in weisser Einsamkeit.


Die Kälte ist der Klebstoff

für die Zerbrechlichkeit

des Lebens und prüft

den Pegelstand der Seele.


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Wolkenfahrt (aus "Wandelgefühle")

 

In tiefer Stille

gleiten weisse, turmhohe Findlinge

vor des Himmels mattem Hintergrundblau.


Kleinwassertröpfchen, zu einem

schwebenden Körper geformt.


Wilde Windfransen

an dessen Rand, wie

fliegendes Haar.


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Deutlich (aus "Wandelgefühle")

 

Geboren werden ist

unergründlich ankommen

auf Grund - wie viele sind da

zu erklären ...


Sterben ist

unergründlich wegfliegen

auf Flügeln - niemand ist dort

zu verwirren.


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Weiterweg

 

Durch den

inneren Schlamm

die Brandmarkenfeuer

die Unergründlichtiefen des Wassers

die Schwere der Erde

hindurch


windwärts

sonnenverpflichtet.


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Nebelmorgen

 

Ein weisser Stoff

über Nacht

gefallen

als Silbertau des Himmels.


Schwarze Baumspitzen

stechen Löcher

ins windbewegte Tuch.


Zeit und Raum

verirren sich

ins Nichts.